NATUR: Die Krähe – schlau und unbeliebt
Die Rabenkrähe zu dezimieren ist weder einfach noch unbestritten

29.09.2005 Krähen sind dem Menschen nicht
genehm. Auch weil sie Schäden anrichten. Sie zu jagen ist politisch
umstritten und zudem nicht einfach. Denn die Rabenkrähen sind alles
andere als dumm.


Bruno Zürcher

Quelle: Wochenzeitung für das Emmental
Kolkrabe

 Krähen gehören zur Gruppe der Singvögel. Das mag einigermassen erstaunen, zumal das durchdringende Gekrächze der schwarzen Gestalten nicht mit dem frohen Gesang einer Amsel mithalten kann. Schlecht schneiden die Krähen auch ab, wenn sie sich an landwirtschaftlichen Kulturen gütlich tun. Dabei handelt es sich ausschliesslich um Rabenkrähen, einer von sechs Rabenvogelarten. In der Schweiz brüten gegen 150’000 solcher Krähen. Sie verteidigen das Revier, in dem sie die Jungen aufziehen und verhalten sich recht ruhig. Aggressiver treten die Schwärme auf, denen die Jungvögel und jene angehören, die kein Revier ergattern konnten. Wie viele es sind, ist unklar. Daniela Heynen von der Schweizerischen Vogelwarte schätzt, dass es in manchen Gebieten halb so viele sind, wie die brütenden. Diese Schwärme sind es, die Getreide, Mais, Gemüse oder Obst beackern. Auch vor Fenstersprossen, Siloballen oder Abfallsäcken machen die «Gaager» nicht Halt.

Keine Angst vor Vogelscheuchen
Den gefrässigen Krähen haben die Bauern und das kantonale Jagdinspektorat den Kampf angesagt. Doch die Krähen werden ihrem Ruf als schlaues Tier gerecht und reagieren rasch. Beispielsweise verlieren farbige Plastikbänder jegliche Abschreckung nach rund drei Tagen. Wenig bis gar keine Furcht zeigen die Tiere vor Vogelscheuchen. Grundsätzlich hat ein Landwirt die Möglichkeit, auf seinem Grund mit einem für die Jagd geeigneten Gewehr die Krähen aufs Korn zu nehmen, wenn diese seine Pflanzen beschädigen.
Jagdinspektor Peter Jeusy hat den gesetzlichen Auftrag, bei Wildschäden einzugreifen. Die Meldungen von Verwüstungen nahmen in den letzten Jahren zu und auch politisch wurde die Krähenjagd gefordert. Doch was beispielsweise bei Rehen oder Wildschweinen funktioniert – deren Bestand zu reduzieren – klappt bei den Krähen nicht. Vom 1. September bis zum 1. Februar ist diese Jagd offen. In den letzten Jahren erlegten Jäger jeweils rund 1300 Tiere. «Ein Tropfen auf den heissen Stein», meint Peter Jeusy dazu. «Auf den Bestand hat dies keinen Einfluss.» Ist das nicht ein magerer Ertrag bei 3000 Jägern? «Die Jagd auf Krähen ist für die Jäger nicht sehr attraktiv. Unter anderem weil die Tiere nicht verwertet werden können», sagt Jeusy weiter.
Der Präsident des Bernischen Jägerverbandes, Peter Zenklusen, meint dazu: «Die Jagd auf den ‹Chräj› ist eigentlich ganz spannend, weil das Tier sehr intelligent ist». Man könne die Rabenkrähen allerdings fast nur mit Schrot bejagen, dies bei einer Distanz von höchstens 30 bis 35 Meter. «Die Vögel durchschauen die Absicht des Jägers sofort», berichtet Peter Zenklusen. Im Frühling bei der Aussaat von Mais ging er auf einer Sämaschine auf die Lauer. «Nach dem ersten Abschuss zeigte sich kein ‹Chräj› mehr. Die Rabenkrähen können sich auch bestimmte Autos merken und sie kennen den Unterschied zwischen einem Spazierstock und einem Gewehr bestens», erklärt Zenklusen. Die Jäger wollen dem kantonalen Jagdinspektorat Hand bieten um die Schäden einzudämmen. «Die besten Erfahrungen machten wir, wenn wir dort jagten, wo die Krähen Schäden anrichten.» Eine weitere Methode, den Bestand der Rabenkrähe zu dezimieren, ist die Falle. Dabei werden die «Gaager» mit einer gefangenen Krähe in einen Käfig gelockt und dann erlegt. «Im Unterschied zu den Betäubungsaktionen sind die Fallen weitgehend unbestritten», sagt Jagdinspektor Peter Jeusy. Auf diese Art werden jährlich über 1000 Krähen erlegt.

Erst gefordert, dann kritisiert
Weil die Jagd mit Gewehr wenig wirkungsvoll ist, wurden letzten Winter mehrere hundert Rabenkrähen mit präparierten Körnern betäubt und dann erlegt. Die «Vergiftungsaktion» rief wiederum politische Kräfte auf den Plan und der Versuch mit den Betäubungen wurde eingestellt.
Vor zwei Wochen hat der Grosse Rat nun eine Motion gutgeheissen, die das Problem von der anderen Seite anpackt. «Die Fehlentwicklung der Krähenpopulation soll erforscht werden», forderte Kathy Hänni von der Grünen freien Liste. Nun werden sich die Hochschule für Landwirtschaft und die Vogelwarte Sempach den vermehrungsfreudigen Krähen annehmen. In den letzten Jahren hat der Bestand der brütenden Rabenkrähen stets zugenommen. Die Untersuchung soll aufzeigen, warum dies so ist, und welche Auswirkungen die Krähen haben. Was hält der bernische Jagdinspektor von dieser Arbeit? «Langfristig werden die Ergebnisse sicher etwas nützen. Kurzfristig wird man das Krähenproblem so aber nicht in den Griff bekommen», sagt Peter Jeusy. «Der Bestand der Rabenkrähen richtet sich in erster Linie nach dem Nahrungsangebot. Zwar wurden in den vergangenen Jahrzehnten offene Mülldeponien geschlossen. Mehr Nahrung im Vergleich zu früher finden die Krähen vor allem in den dicht besiedelten Gebieten. Die Tiere passen sich eben sehr schnell an.»
Der Kanton Bern soll prüfen, ob die Krähenschäden nicht wie die anderen Wildschäden abgegolten werden können. Dies ist die zweite Forderung des parlamentarischen Vorstosses. Die zuständige Regierungsrätin, Elisabeth Zölch, antwortet, «dass für Schäden, die Krähen verursachen, auch in Zukunft keine Entschädigungen ausgerichtet werden sollten». Weil die Krähe jagdbar sei, «erachtet der Regierungsrat das Entschädigen von Krähenschäden weder als notwendig noch als angebracht.» Wie gross sind die Schäden? «Weil keine Entschädigung bezahlt wird, gibt es keine Zahlen», sagt Peter Jeusy. Die Schäden seien erfahrungsgemäss regional sehr unterschiedlich. «Im Kanton Solothurn, wo sie abgegolten werden, gab es zwei extreme Fälle, bei denen die Schäden auf je 16’000 Franken beziffert wurden», berichtet Jeusy. Die Landwirte, vertreten durch die Lobag, finden eine intensive Bejagung sinnvoller als finanzielle Abgeltung: Erstens, weil sie dem Image von Subventionsbezüger entgegenwirken wollen, zweitens, weil sie zusätzlichen Aufwand befürchten.

Artenvielfalt in Gefahr?
Rabenkrähen plündern, wie andere Vogelarten auch, die Nester anderer Vögel. Gefährden die vielen Krähen nun andere, vielleicht seltene Arten? «Die Rabenkrähen haben nur einen sehr geringen Einfluss auf die Artenvielfalt», sagt Daniela Heynen von der Vogelwarte Sempach. «Die Krähen plündern unter anderem auch Nester von anderen Krähen.» Zudem müsse man die Zahl der Krähen relativieren. Beispielsweise fliegen in der Schweiz zwei Millionen Buchfinken durch die Luft – «das sind zehn Mal so viele wie Rabenkrähen».
Dass Rabenkrähen nachweislich den Bestand von Feldhasen beeinflusst, weiss Peter Jeusy. «Allerdings jagen auch Mäusebussarde, Füchse und weitere Tiere die Hasen. «Das Beispiel zeigt, dass es sehr schwierig ist, die Natur zu regulieren – vor allem wenn der Mensch eingreift.»

Götterbote und Galgenvogel
zue. Spätestens seit Hitchcocks Thriller «Die Vögel» haben die Krähen einen schlechten Ruf. Sie gelten als Verkünder von Unheil und Tod. In christlichen Sagen ist die Krähe der Bote des Heiligen Oswald. Die Tiere werden noch heute als Galgenvögel bezeichnet, weil sie sich einst als Aasfresser gerne in der Nähe von Hinrichtungsstätten aufhielten.
In vorchristlicher Zeit war der Ruf der Rabenvögel besser: Sie begleiteten die griechischen Götter Apoll und Bakchos sowie den germanischen Obergott Wotan. In der nordischen Mythologie symbolisiert der Rabe die Weisheit; Odin hatte stets die beiden Raben «Hugin» und «Munin» bei sich. Die römischen Auguren ihrerseits lasen aus dem Flug von Raben und Krähen die Zukunft. Eine positive Rolle spielt die Krähe in den Märchen nordamerikanischer Indianer. In der griechischen Mythologie hingegen wurde die Mymphe Koronis von Apollo in eine Krähe verwandelt, weil sie ihm untreu war.
Raben als sprechende Haustiere
Neben Papageien gehören Rabenvögel zu den geistig beweglichsten Vögeln. Dies befähigt sie, sich gegenüber Gefahren und neuartigen Verhältnissen durch Lernen anzupassen. Noch im 19. Jahrhundert wurden Raben als Haustiere gehalten, wozu ihre Fähigkeit beitrug, Worte und kurze Sätze unschwer sprechenzulernen. Ihre beeindruckende Auffassungskraft und Keckheit konnte den Haltern aber auch lästig werden.


(Quelle Wochenzeitung für das Emmental und Entlebuch vom 29.09.05)

ZurückWeiter
Der Rabenbaum  |  webmaster@rabenbaum.com